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GO EAST: Tot über den Zäunen von Billstedt


Man muss sich das ja sein wenig schön reden, wenn man in diesen Strafblock gesteckt wurde, weil man sich so spät zu den diesjährigen Cyclassics angemeldet hat! Ohne rot zu werden, weil ich etwas gemacht habe, was der Veranstalter anscheinend damit ahndet, stehe ich sonntagmorgens viel zu früh im NoNameBlock und mampfe mein mitgebrachtes Käsebrötchen. Nachdem mir letztes Jahr von zu viel Bananen so übel war, diesmal lieber auf Nummer sicher mit Eigenverpflegung! Hab auch schon ordentlich Koffein im Blut – die können mich hier mal, mit ihren Farbsäften! Ausserdem ist es mindestens zehn Grad wärmer als letztes Jahr! Und je später die Startzeit, um so ausgeschlafener! Also alles in Butter!

 

N - wie noch nicht viel los! Alle entspannt. N – wie Null Frauen! Sind bestimmt alle im Block F! F – wie Frauenblock! Leider hab ich bei meiner Lastminute-Anmeldung vergessen, dass es so was ja auch gibt. Während ich noch darüber nachgrübele, ob das sehr dumm war, mich da NICHT anzumelden, traben zwei palavernde Mitstreiter an mir vorbei:

„Oh Mann, wir sind der letzte Block!"

"Aber hier fahren die geilsten Mädels mit!“

Verstohlen gucke ich mich um. Wo sind sie denn bloß, die geilen Mädels?

 

Von irgendwo her riecht es verdammt heftig nach Tüte! Da pfeift wohl noch jemand auf die quietschbunten Farbsäfte! Vor mir steht ein Herr mit einem Dress, dass farblich glatt den Säften Konkurrenz macht. Er erzählt seinem Kumpel, dass er gestern noch schnell auf der Messe Klamotten kaufen war. Ich kneife die Augen zusammen - kommt da doch glatt ein Herr genau in dem gleichen Dress in unsere Richtung?

 

„Haha, Partnerlook soll ja dieses Jahr wieder sehr in sein, hab ich gehört!“

 

Die beiden farblich gleich schillernden Herren lachen sich kaputt und beschließen, ab jetzt nebeneinander stehen zu bleiben – mindestens EIN gemeinsames Gesprächsthema hat man ja schon für heute! Um 9:40 Uhr kommt das Feld endlich Bewegung. Sogar im Block N hört man die ersten Schuhe in die Pedalen klicken. 

 

Das Rennen startet schnell. Ich hänge mich sofort an sehr zügig fahrende Gruppen. Ruckzuck bin ich raus aus der Stadt! Es geht zum ersten mal in der Geschichte der Hamburger Cyclassics Richtung Osten! Viel Landstraße und jede Menge kleiner Käffer! Die Eingeborenen sehen sowas zum ersten mal vor ihren Haustüren - dementsprechend neugierig stecken sie ihre Nasen heraus. Und weil wir so klasse aussehen – vor allen Dingen die geilen Mädels aus Block N – und uns bereits die Zungen aus dem Hals hängen bei all der Heizerei, beschließt die Bevölkerung, uns reichlich anzufeuern! Kinderhorden sitzen am Straßenrand und schlagen mit Kochlöffeln auf Töpfe! In einem der großen Vorgärten sitzen mindestens 20 Rentner aufgereiht auf Klappstühlen und geben uns La Ola! Es riecht je nach Dorf entweder stark nach Grillfleisch oder nach Erbsensuppe. Da will man sich sofort die ekligen Energieriegel aus der Trikotasche reißen und die garantiert besten Tauschgeschäfte des Tages machen!

 

„Ihr schafft das!“, scheint DER Anfeuerungsruf des Tages zu sein! Bisschen merkelig – aber das Zujubeln beflügelt ungemein!

 

Mühlenrade! Kilometer 58! Hier ist die einzige Versorgungsstation der 100er-Strecke. Nach den eher fragwürdigen Entscheidungen mich erst so spät und NICHT für den Frauenblock anzumelden, habe ich hier die wahrscheinlich dritte zweifelhafte Idee. Mehr als die Hälfte meines Wassers ist aufgebraucht. Quälendem Durst vorbeugend fahre ich hier runter von der Strecke, um die erste leere Flasche aufzufüllen. Das ist nicht so einfach, da mir sehr viele entgegen kommen, die das soeben hinter sich gebracht haben. Absteigen ist angesagt, der Renner muss an einem Draht eingehängt und verlassen werden, da an der Versorgungsstation das Gedränge zu groß ist. Vor den Kanistern mit den poppig-farbenen Getränken bilden sich Schlangen. Ich entdecke ein Mädel im Hintergrund, die mit einem Schlauch leere Kanister mit Wasser auffüllt. Sie lacht, als ich ihr grinsend meine geöffnete Flasche unter die Schlauchöffnung schiebe, begreift aber sofort: Ich habe es heute eilig.

 

Schnell husche ich zurück zu meinem Renner. Buddel wieder voll und mein Handy hat zum Glück keiner vom Lenker gemopst – alle im Stress heute! Den bis hier hin guten Schnitt mit 34 km/h hab ich mir mit der Aktion allerdings versaut, das ist mir klar.

 

„Yeah! FRAUENPOWER!“, brüllt mich eine Polizistin seitlich vom Straßenrand an. Dabei schmettert sie eine Faust in den Himmel – vor Schreck haut es mich fast aus dem Sattel! Aumühle, Glinde, Lohbrügge - die letzten Dörfer vor Hamburg liegen bereits hinter mir. Es geht tatsächlich auf die B5! Mann, was Platz hier! Gesperrte Bundesstraßen sind echt das größte!

 

Aus viel Platz wird allerdings viel zu schnell Einsamkeit. Statt jubelnden Dorfgemeinschaften totale Tristess in Billstedt, gefolgt von gähnender Leere in Horn. Zuschauer sind Fehlanzeige. Zunehmender Gegenwind und ein völlig auseinander gezogenes Feld - unerfreuliche Tatsachen, denen man sich leider stellen muss. Mit zwickenden, scheinbar völlig kraftlosen Oberschenkeln komme ich gefühlt kaum noch vom Fleck! Ach, wäre es nicht besser, hier für immer tot über dem Zaun zu hängen? Alleine die Gewissheit, dass es nicht mehr weit in die Innenstadt sein kann, bewahrt die Billstedter davor, hier ne Leiche mit Helm vom Zaun entfernen zu müssen!

Feldertrennung am Hauptbahnhof! Hier trennen sich die 160km-Fahrer von den 100km-Fahrern! Bin ich froh, dass ich jetzt links zur Binnenalster abbiegen darf!

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